Von Jens Mende und Christian Kunz, dpa
Es ist eines der wenigen Fußball-Märchen der Gegenwart. In
Blitzgeschwindigkeit wird der deutsche Fußballer Jonas Hector vom
Amateur zum EM-Spieler. Der Kölner ist immer dabei in der EM-Saison.
Auch ein berühmter Weltmeister startete einst aus der Provinz eine
Glanzkarriere.
Lille (dpa) – Der SV Auersmacher rüstet sich zum nächsten
Fußballfest. Viele Jahre kickte Jonas Hector für den
Saarland-Ligisten. Am Sonntag werden die meisten der 2800 Menschen
aus Auersmacher «ihren» Jonas aus der Entfernung anfeuern, wenn er
mit Deutschland gegen die Slowakei um den Einzug ins EM-Viertelfinale
kämpft. «Ich bin mit seiner Entwicklung wahnsinnig zufrieden», hatte
Bundestrainer Joachim Löw vor dem Turnier in Frankreich gesagt und
Hector zur Stammkraft auf der linken Verteidigerposition erklärt.
«Positiv aufgeregt» war der turnierunerfahrene Hector in die EM
gestartet. «Das Gefühl ist immer noch anhaltend», sagte er lächelnd
rund 22 Stunden vor dem Anpfiff im Lille, «aber jetzt zählt es eben.
In der Gruppenphase kann man sich noch einen Ausrutscher erlauben, im
Notfall bei der EM sogar zwei. Aber jetzt geht es um die Wurst und es
heißt gewinnen oder nach Hause fahren.»
Nach drei Vorrundenspiele und null Gegentoren ist der international
eher unbekannte Kicker auf der europäischen Bühne angekommen. «Wir
haben es die letzten Spiele gut gemacht und wenig zugelassen», hob
der Kölner hervor. Man könne nach den Defensivvorstellungen mit
«breiter Brust» in die weiteren Partien gehen, sagte Hector mitten in
seinem Fußballmärchen.
Solch einen Aufstieg gibt es heutzutage nur noch sehr selten. Es
erinnert ein wenig an die Geschichte von Weltmeister Miroslav Klose,
der vom pfälzischen Provinzclub SG Blaubach-Diedelkopf praktisch
direkt ins Nationalteam durchgestartet war. Löws Kurzbeschreibung zum
26 Jahre alten Hector lautet: «Er lernt wahnsinnig schnell, ist
physisch stark und entwickelt sich ständig.»
Hector hat seinen EM-Job bisher so verrichtet, wie man es von dem
Blitz-Aufsteiger erwarten konnte. Er rannte viel, wackelte selten,
flankte eher dürftig. Auch wenn das von internationaler Klasse noch
ein ganzes Stück entfernt ist: Für Löw gibt es derzeit links hinten
keinen Besseren. «Gerade in der Defensive haben wir in den letzten
zwei Spielen wenig bis gar nichts zugelassen. Darauf können wir
aufbauen», betonte der Wahl-Kölner, der vor allem defensiv denkt.
Bis zu seinem 20. Lebensjahr hat Hector für seinen SV Auersmacher
gespielt. Auch Vater und Mutter kickten dort. Sohn Jonas leistete in
dem Verein sein Freiwilliges Soziales Jahr ab, machte sogar die
C-Lizenz als Trainer. Dann kam er über ein Probetraining bei der
zweiten Mannschaft von Bayern München ins Regionalligateam des 1. FC
Köln. Kein einfacher Schritt, wie Hector jüngst verriet: «Wenn man
zwanzig Jahre lang zu Hause wohnt und in erster Linie von der Mutter
versorgt wird, ist es schon aufregend, auf eigenen Beinen zu stehen.»
Nach nur elf Bundesligaspielen für die «Geißböcke» gab Hector am 14.
November 2014 in Nürnberg beim 4:0 gegen Gibraltar sein Debüt für
Deutschland. In der EM-Saison ist er der einzige von 33 eingesetzten
Nationalspielern, der in allen zwölf Partien auf dem Platz stand. In
Lille bekommt der BWL-Fernstudent seine nächste große Bühne.




